Die Sea Cloud Spirit - ab 2022
Bildrechte Sea Cloud
Das Abenteuer beginnt.
1994 übernahmen der Hamburger Kaufmann und Reeder Hermann Ebel und sein Partner Harald Block die legendäre SEA CLOUD. Und schon damals war klar: Aus betriebswirtschaftlichen Gründen müssten weitere Projekte hinzukommen; für ein einziges Schiff war die gesamte Organisation von SEA CLOUD CRUISES einfach zu teuer. Erleichtert wurde die Entscheidung für ein zweites Schiff zudem durch den sanften Druck der SEA CLOUD-Charterer - die Nachfrage überstieg das Angebot nämlich bei weitem.Der Standard für das neue Schiff war dabei vorgegeben: Wenn die SEA CLOUD II im Popularitäts-Kielwasser ihrer legendären Schwester segeln sollte, dann konnte sie nur ein echter Windjammer mit Fünf-Sterne-Luxus an Bord werden. Und noch etwas stand von Anfang an außer Zweifel: Auch das zweite Segelschiff von SEA CLOUD CRUISES sollte ein Rahsegler werden. Denn nur ein solcher Square Rigger beschert den Passagieren an Bord höchste Erlebniswerte.Nach diesen Grundsatzentscheidungen stellten sich dann ganz andere Fragen: Würde es möglich sein, einen Rahsegler zu konstruieren, der sich mit der denkbar kleinsten Besatzung würde fahren lassen? Und: Würde man überhaupt eine geeignete Werft finden, um ein solches Schiff zu vertretbaren Kosten zu bauen?Hermann Ebel und sein Team machten sich auf die Suche. Das Abenteuer SEA CLOUD II hatte begonnen.
Die SEA CLOUD II wurde von Anfang an als "echte" Bark geplant - als dreimastiges Segelschiff mit zwei "vollgetakelten" Masten und einem Besan. SEA CLOUD CRUISES entschied sich dabei für ein traditionelles, von Hand bedientes Rigg, wie es Anfang des 20. Jahrhunderts üblich war. Bei der Planung orientierte man sich an dem 1908 erschienenen Standardwerk zu diesem Thema von Mittendorf - der bis heute gültigen "Bibel" für Rahsegler.
Schnell zeigte sich dabei: Der Bau eines solchen Segelschiffes, das auch noch im Passagierverkehr eingesetzt werden soll, ist schon in der Vorbereitungsphase eine komplexe Angelegenheit. Die Bestimmungen des Internationalen Schiffssicherungsvertrages SOLAS spielen dabei ebenso eine wichtige Rolle, wie Brandschutzvorschriften oder die Leckstabilität.
"Wir wurden mit Vorschriften geradezu erschlagen", erinnert sich Hermann Ebel. Und so fielen die ersten Pläne denn auch durch: "Die SEA CLOUD II wäre danach vor lauter Fluchtwegen ein schwimmendes Treppenhaus geworden!" Doch schließlich kam eine klare Linie in das Projekt: Schiffsbauarchitekten zeichneten Rumpf und Rigg; und mit den Inneneinrichtern von Partner Ship Design in Hamburg kam ein weiterer wichtiger Partner ins Team.
Schrittweise entwickelte sich die SEA CLOUD II auf den Zeichenbrettern zu einem fertigen Schiff - jetzt musste nur noch die passende Werft gefunden werden.
Ein Partner an der Biskaya
Der erste Partner für den Bau der SEA CLOUD II war eine finnische Werft. Die Zusammenarbeit lief zunächst erfolgreich an, und so wurde die SEA CLOUD II auch in Finnland geordert. Doch dann gab es Schwierigkeiten: Die hinter der Werft stehende Bezirksregierung konnte oder wollte die notwendigen Bankgarantien für die zu leistende Anzahlung nicht geben. Die Arbeiten wurden unterbrochen, schließlich wurde die Partnerschaft aufgekündigt. Für SEA CLOUD CRUISES eine glückliche Fügung, denn kurz darauf musste die Werft Konkurs anmelden.
Doch jetzt begann die Suche nach einer Werft von vorn. Schon bald nahm man Gespräche mit der 1925 gegründete Werft Astilleros Gondan, S.A. im asturischen Figueras auf. Dort hatte man sich in den 25 Jahren zuvor einen hervorragenden Ruf erarbeitet, bis dahin aber noch keinen Kreuzfahrt-Großsegler der Luxusklasse gebaut. Als sich die Werft um den Auftrag für die SEA CLOUD II bewarb, hatte sie jedoch gerade einen interessanten Neubau auf dem Helgen: Das spanische Marineministerium hatte Astilleros Gondan mit dem Bau eines Segelschulschiffs betraut.
Kapitän Bodo Franz, Geschäftsführer und Technischer Direktor von SEA CLOUD CRUISES, machte sich schon bald auf den Weg, um das künftige Partnerunternehmen vor Ort zu begutachten. Es blieben zwar gewisse Vorbehalte, grundsätzlich fiel seine Beurteilung jedoch positiv aus. Und so wurde der spanischen Werft der Auftrag für den Neubau der SEA CLOUD II erteilt.
Die große Stunde des traditionellen Handwerks
Die Takelage ist die Seele eines Segelschiffs. Hier entscheidet sich, ob der Mensch für den Kampf mit Wind und Wellen gut gerüstet ist. In Europa sind heute nur noch wenige Konstruktionsbüros in der Lage, Großsegler zu beriggen. Denn das dafür notwendige handwerkliche Know-how ist im Computerzeitalter fast ausgestorben.
Auf der Suche nach einem geeigneten Partner für die Takelage der SEA CLOUD II wurde SEA CLOUD CRUISES in Wolgast an der Peene-Mündung fündig. Dort betreibt Bootsbauer Detlev Löll unter dem Namen Navicom ein Konstruktionsbüro mit angeschlossener Werft. Die SEA CLOUD II war eine besondere Herausforderung für ihn und sein Team. Immerhin ging es darum, die größte Bark aller Zeiten zu beriggen.
Stück für Stück wurde in Wolgast von Boots- und Schiffbauern, Schweißern, Drehern und Schlossern das gesamte stehende und laufende Gut hergestellt - eine ebenso verwirrende wie faszinierende Komposition aus gut 20 Kilometer Tauen, Stahldrähten und Kunststoffseilen. Währenddessen entstanden bei einem Segelmacher in Polen 23 neue Segel. Und auf der spanischen Werft wurden die Masten gebaut.
So entstanden zeitgleich in ganz Europa die Teile für ein gigantisches Puzzle, das nur noch darauf wartete, zusammengesetzt zu werden.
Der Zeitplan läuft aus dem Ruder
Zum Hafengeburtstag 2000, so hatte man es angepeilt, sollte die SEA CLOUD II eigentlich unter vollen Segeln die Elbe heraufkommen. Bis zum Stapellauf des Schiffes im März 1999 lag die Werft auch noch im vorgesehenen Zeitrahmen. Doch dann kam es zu immer neuen Verzögerungen, die schließlich dazu führten, dass die SEA CLOUD II erst mit zwölf Monaten Verzögerung abgeliefert werden konnte.
Insbesondere beim Innenausbau kam es zu Problemen. Der renommierte Innenausstatter El Corte Ingles verfügte zwar über Erfahrungen mit Standardausstattungen für große Kreuzfahrtschiffe, hatte aber Schwierigkeiten, die individuelle und qualitativ sehr hochwertige Ausstattung für die SEA CLOUD II zu liefern. Man sah sich deshalb gezwungen, während der Bauarbeiten einen Großteil des Personals auszutauschen - was nicht nur viel Geld kostete, sondern noch mehr Zeit.
Statt wie geplant Mitte Januar 2000 konnte die Bark deshalb erst am 29. Dezember 2000 übergeben werden - und auch da war sie noch nicht ganz fertig. Die vereinbarte Vertragsstrafe - die Höchstgrenze war auf 120 Tage festgelegt - deckte zwar bei weitem nicht den verursachten Schaden. Doch, so Eigner Hermann Ebel: "Was hätten wir machen sollen? Die Alternative, das Projekt aufzugeben, ließ unser Stolz einfach nicht zu. Und vor allem: Die Buchungen für den Neubau liefen gut. ´Augen zu und durch!´ hieß deshalb unsere Parole."
Ein wahr gewordenen Traum
Der Brauch, ein Schiff zu taufen, ist 300 Jahre alt. Ursprünglich geht er zurück auf eine Mutprobe für Seeleute, die neu angeheuert hatten. Sie mussten von Deck aus etwa 15 Meter hinab ins Meer tauchen - daraus wurde später dann das Taufen, das im 18. Jahrhundert von den christlichen Kirchen übernommen wurde; schließlich sollten die Segelschiffe mit Gottes Schutz und Segen die Meere überqueren.
Für die SEA CLOUD II kam am 6. Februar 2001 der große Tag - zwölf Monate später als geplant, aber gerade deshalb mit hohem Symbolwert. Denn 70 Jahre zuvor war ihre ältere Schwester, die legendäre SEA CLOUD, auf der Germania-Werft in Kiel getauft worden.
Am Tag ihrer Taufe lag die SEA CLOUD II nach einer stürmischen Atlantiküberfahrt blitzblank herausgeputzt am Kai der kanarischen Hafenstadt Las Palmas. Und nach einer nicht weniger turbulenten Flugreise war auch Taufpatin Sabine Christiansen rechtzeitig eingetroffen. Die TV-Talklady war die Wunschkandidatin von Reeder Hermann Ebel - und die Journalistin und SEA CLOUD-Liebhaberin hatte begeistert zugesagt.
Angekündigt von ihrem Kollegen, dem langjährigen Tagesschau-Sprecher Wilhelm Wieben, sprach sie schließlich bei strahlender Sonne die Worte: "Ich taufe dich auf den Namen ´SEA CLOUD II´ und wünsche dir und allen, die mit dir über die Weltmeere segeln, allzeit gute Fahrt und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel" - und dann ließ Sabine Christiansen mit gekonntem Schwung eine Champagnerflasche am Bug des Schiffes in tausend Scherben zerspringen.